Vernetzungstreffen Kritische Medizin 01.-03.11.24 in Göttingen
Wir waren dieses Jahr wieder beim jährlichen Vernetzungstreffen der Kritischen Medizin plural e.V. - dieses Mal in Göttingen vom 01.-03. November!
Marlene, Astrid, Annika und Karina für Feministische Medizin e.V.
Die Kritischen Mediziner*innen sind die Reaktion auf ein bisher recht unpolitisch gebliebenes Curriculum im Studium. Dieser Lücke begegnen immer mehr Studierende durch Aktivismus und ehrenamtliches Engagement. Das impliziert die Sensibilisierung für verschiedene Diskriminierungen im Gesundheitswesen ebenso wie das gemeinsame Brainstormen dafür, wie eine solidarische Gesundheitsversorgung aussehen kann.
Ein paar Themen vom Wochenende:
Wie hängt Erwerbslosigkeit und Gesundheit zusammen? Prof. Alfons Holleder der Uni Kassel ordnet die Entwicklung von Erwerbslosigkeit aus kulturwissenschaftlicher Perspektive ein und betont die Zusammenhänge zwischen sozialem Status und Gesundheitsrisiken. Dabei stehen Erwerbslosigkeit und Krankheit in engem Wechselspiel miteinander in Verbindung und beeinflussen sich gegenseitig.
Was kann die neue Krankenhausreform? Dr. Nadja Rakowitz vom Verein demokratischer Ärzt*innen erklärt die neue Reform zur Vergütung von Krankenhausbehandlungen. 20% werden über das schon länger bestehende Pflegebudget finanziert und 40% über die neue Vorhaltefinanzierung. Doch auch diese führt zu keiner Entökonomisierung des Gesundheitswesens und befördert bestehende Probleme wie Klinikschließungen und Überbehandlungen. Die restlichen 40% werden weiterhin fallmengenabhängig über DRGs vergütet - und das obwohl Lauterbach die selbst eingeführten DRGs längst zum Scheitern erklärte.
Wie funktioniert die medizinische Versorgung von Sexarbeitenden? Heidrun Nitschke gibt uns einen Einblick in ihre langjährige Erfahrung im Öffentlichen Gesundheitsdienst. Dabei dominieren insbesondere die Stigmatisierung, die Unterfinanzierung und unzureichende Aufklärung.
Wie stellt sich die ungleiche Behandlung im Gesundheitswesen dar? Sabi Schwachenwalde stellt in einer Lesung das kürzlich erschienene eigene Buch „Ungleich behandelt“ vor, in welchem auf verschiedene Diskriminierungsformen eingegangen wird. Dabei haben wir viel über den präsenten Ableismus im Gesundheitswesen diskutiert, dem die Autor*in insbesondere in der eigenen Rolle als Ärzt*in und chronisch kranke Patient*in aus verschiedenen Perspektiven begegnet.
Was (be-)hindert Ärzt*innen oder Kliniken, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen? Dieser Frage geht Christiane Tenhardt von doctors for choice nach. Die Hürden sind vielfältig wie eine dieses Jahr veröffentlichte ELSA-Studie zeigt. Dazu gehören die Tabuisierung, bürokratischer Aufwand, die Verankerung im STGB, eine nicht einheitliche Gesetzeslage zwischen den Bundesländern, die fehlende Kostenübernahme und die fehlende Verankerung in der Fachausbildung.
Natürlich kamen auch Themen wie Vernetzung, Gewerkschaften, hausärztliche Versorgung von Geflüchteten, Gesundheitsversorgung in Gaza, postkoloniale Perspektiven auf die Medizin, medizinische Versorgung von inter und trans Personen sowie Klimakrise und Gesundheit (u.v.m.) nicht zu kurz!
Ein paar Learnings oder kurze spannende Fakten:
Die Lebenserwartung von erwerbslosen Menschen ist 7 bzw. 11 Jahre (weiblich vs männlich) kürzer als in der erwerbstätigen Gruppe!
Die öffentliche Aufmerksamkeit für HIV/AIDS in den 80ern hat viel zugunsten der Verfügbarkeit von Teststellen oder dem Therapieangebot von HIV verändert. Leider sind andere STIs daneben total unterfinanziert und haben keine vergleichbare Sichtbarkeit in der Gesellschaft.
Nur 40% aller Krankenhausbehandlungen werden über die neu eingeführten Vorhaltepauschalen finanziert - die Finanzierung über DRGs bleibt zu einem gleich großen Anteil bestehen.
Nur knapp ein Viertel aller Praxen sind rollstuhlgerecht zugänglich. Dabei haben 10% aller Menschen in Deutschland eine Schwerbehinderung offiziell anerkannt.
Falls ihr im Studium politisch aktiv werden wollt, es gibt (neben unserem Verein) mittlerweile in fast allen Städten Lokalgruppen der Kritischen Medizin! Oder ihr könnt teilhaben am Aufbau einer neuen Lokalgruppe. Wir helfen euch gerne beim Austausch, denn wie bei allen linken Kämpfen gilt: Vernetzt euch, bildet Banden!
Für die gemeinsame Vision einer solidarischen, gleichberechtigten Gesundheitsversorgung!
Danke für die tolle Orga in Göttingen - wir haben uns rundum wohlgefühlt.
Wir freuen uns schon auf das nächste Vernetzungstreffen in einem Jahr - bis dahin!